Die vergangenen Wochen waren für uns alle zweifellos sehr anders! Im besten Fall konnten wir einfach ins Homeoffice umziehen, im schlimmsten Fall ist die Existenz bedroht, wie beispielsweise bei unserem Mitglied SchwuZ, dem queeren Club und Veranstaltungsort in der Rollbergstraße (der gerade jede Unterstützung gebrauchen kann!).
Nach und nach wird zudem deutlich, welche weiteren Folgen die Einschränkungen aufgrund der Covid 19-Pandemie noch mit sich gebracht haben – bzw. welche bereits vorhandenen gesellschaftlichen Gräben die Pandemie weiter vertieft hat.
Lockdown im Rollbergviertel
Zunächst einmal waren wir überrascht: Nachdem der Berliner Senat am 13. März verkündet hatte, die Schulen zu schließen und kurz darauf noch strengere Kontaktbeschränkungen für alle in Kraft traten, hatten wir zunächst vermutet, dass sich zumindest einige Jugendliche aus dem Viertel nicht an die neuen Regeln halten würden. Aber wir sahen, dass wir nichts sahen – die Straßen waren wie leergefegt! Bei unseren vielen Telefonaten während des Lockdowns hörten wir immer wieder, dass viele Familien ihre – häufig beengten Wohnungen – zum Teil über mehrere Wochen überhaupt nicht verlassen hatten, nicht einmal für kurze Spaziergänge, sondern höchstens eine Person zum Einkaufen. Was wir auch schnell feststellen, war, dass die Informationen über die sich ständig verändernden Regelungen manche Familien kaum erreichten. Stattdessen kursierten zum Teil Nachrichten, in denen beispielsweise angekündigt wurde, dass zu einer bestimmten Zeit Helikopter Desinfektionsmittel über den Häusern versprühen würden… Wirtschaftlich wurden viele Menschen im Viertel von den Einschränkungen aufgrund des Corona-Virusʾ hart getroffen. Nicht wenige von denen, die sonst als Taxifahrer, in Restaurants oder anderen Dienstleistungsberufen arbeiten, konnten selbst mit Kurzarbeitergeld plötzlich die Miete nicht mehr oder nur in Teilen zahlen. Auch die Erfahrungen mit dem Homeschooling waren eher ernüchternd. Während viele Lehrer:innen mit viel persönlichem Engagement ihre Schüler:innen auch aus der Ferne mit Aufgaben versorgten, berichteten einige Kinder, dass sie kaum etwas zu tun hätten. Und während sich einige Schüler:innen regelmäßig digital mit ihren Klassen austauschten, bestand das Lernen auf Distanz bei den meisten darin, ausgedruckte Arbeitsblätter zu bearbeiten. Wie intensiv das tatsächlich erledigt wurde bzw. erledigt werden konnte, hing dabei von den Gegebenheiten zu Hause ab: Gibt es überhaupt Drucker im Haus? Haben die Kinder einen eigenen oder zumindest ruhigen Arbeitsplatz? Achten die Eltern darauf, dass die Kinder ihre Aufgaben erledigen? Und waren die Kinder für die Lehrer:innen überhaupt erreichbar? Man ahnt es: Bei vielen Kindern und Jugendlichen im Rollbergkiez waren die Gegebenheiten nicht die besten. Und schließlich ereilte viele der Bewohner:innen das gleiche Schicksal wie viele andere Menschen weltweit: die mangelnde Bewegung der letzten Wochen hat Spuren hinterlassen. Eine Lehrerin berichtete uns vor einigen Tagen fast erschrocken, wie sehr die Corona-Kilos bei den Kindern zu sehen sind.
Was ist bei MORUS 14 in den letzten Wochen passiert?
Nach Bekanntgabe der Schulschließungen haben auch wir uns dazu entschieden, das MORUS 14-Büro erst einmal zu schließen und vorübergehend ins Homeoffice umzuziehen. Obwohl wir damit bisher fast gar keine Erfahrungen hatten, hat das erstaunlich gut und reibungslos geklappt. Wir haben als Team in den letzten Wochen viel Neues gelernt und werden mit Sicherheit einige neue Erkenntnisse und Tools beibehalten. Zunächst einmal jedoch war schnell klar, dass die Familien im Rollbergviertel einen hohen Informationsbedarf hatten. In den Monaten zuvor hatten wir bereits festgestellt, dass wir die Eltern am besten per WhatsApp erreichen. Wir haben deshalb einen Business-Account eingerichtet und Michaela, unsere „Muezzina“, hat mit den Familien telefoniert, um zu fragen, ob sie von uns regelmäßig Nachrichten auf diesem Weg bekommen möchten. Am 23. März war dann der Startschuss unseres Corona-Broadcasts per WhatsApp.
Fast jeden Tag haben die Familien seitdem von uns Informationen zu den neuesten politischen Entscheidungen, Tipps für die Zeit zu Hause oder praktische Hinweise zu Anlaufstellen, Mund-Nasen-Schutz o.ä. erhalten – in einfachem Deutsch, zusätzlich oft auch als türkische und arabische Sprachnachrichten. Ein großer Dank an dieser Stelle an Yildiz und Nilgün vom Kiezanker e.V. und an Omar, unseren Bundesfreiwilligen, für die Übersetzungen! Den Broadcast möchten wir jedenfalls gern beibehalten und hoffen, daraus eine Art „Radio Rollberg“ zu machen. Darüber hinaus haben wir nach den Osterferien damit begonnen, einen Druckservice für die Kinder und Jugendlichen anzubieten, die von den Schulen ihre Hausaufgaben als PDF bekommen haben. Besonders bemerkenswert war dabei, in welchem Format uns die Dateien manchmal erreichten. Mehr als einmal handelte es sich dabei um Screenshot (den wir vor dem Drucken erst einmal bearbeiten mussten, damit es überhaupt leserlich war) einer WhatsApp-Nachricht, in der ein Elternteil das vom Bildschirm abfotografierte PDF an andere Eltern weitergeleitet hat … Kompliziert? Keine Frage, aber die Eltern wussten sich zu helfen. Nach einigen Anlauf- und Motivationsschwierigkeiten bei den Schüler:innen sind auch die Samstagkurse „Der frühe Vogel“ und „Rollberg startklar“, in denen angehende Lehrer:innen Jugendliche systematisch auf den BBR oder MSA (die Schulabschlüsse der 9. und 10. Klasse) vorbereiten und Übergänge begleiten, ins Netz bzw. auf Videokonferenz-Plattformen gewandert. Die Tatsache, dass die Prüfungen in diesem Jahr (bis auf die Präsentationen für den MSA) dann doch nicht stattfanden, ließ die Motivation zwischenzeitlich noch einmal spürbar nachlassen. Kurz am Kopf gekratzt – aber jetzt werden die Zehntklässler in einer Gruppe auf den Stoff im Abitur und in einer anderen auf die Ausbildung vorbereitet. Spannend bleibt, ob alle ihren Abschluss schaffen! In ein paar Tagen wissen wir mehr. Die Rückmeldungen unserer Mentor:innen im Netzwerk Schülerhilfe Rollberg und bei „Fit und schlau – von Anfang an“, die wir regelmäßig mit Tipps versorgt haben, wie sie über die Distanz in Kontakt bleiben könnten, waren sehr unterschiedlich. Während manche berichteten, dass ihre Schützlinge kaum Unterstützungsbedarf angemeldet und sich zurückgezogen hätten, „trafen“ sich andere mit ihren Schüler:innen zum Teil täglich per WhatsApp oder Videokonferenzplattform, um bei den Hausaufgaben zu helfen. Besonders gerührt waren wir, als uns eine Mentorin schrieb, dass ihr Schüler gemeinsam mit ihr über Skype sein allererstes Buch bis zum Ende gelesen habe. Mittlerweile haben auch wir begonnen, einige unsere Angebote wieder langsam hochzufahren. Dafür haben wir beispielsweise Trennwände für unsere Räume besorgt, in denen sich die Mentoring-Tandems in der Regel treffen. Trotzdem wird im Moment vor allem noch unsere Terrasse hinter unserem Büro intensiv genutzt – oder die Tandems treffen sich direkt draußen. Nachdem das Neuköllner Gesundheitsamt unser Hygienekonzept dafür abgesegnet hat, können zudem seit vorletzter Woche die Kinder und Jugendlichen aus dem Rollbergviertel unseren Lernraum nutzen, den wir mit Computern, Internet und Drucker ausgestattet haben. Somit haben die Schüler:innen die Möglichkeit, in Ruhe ihre Hausaufgaben erledigen zu können. Beaufsichtigt wird der Lernraum übrigens größtenteils von unseren neuen Ehrenamtlichen aus Israel, die wir in den letzten Wochen gewinnen konnten – und die natürlich auch bei Fragen weiterhelfen. Auch das war übrigens eine Überraschung der vergangenen Wochen: Wir haben viele E-Mails und Anrufe von Menschen bekommen, die sich bei MORUS 14 engagieren wollen. Das ist großartig – und wir hoffen natürlich, dass das so bleibt! Denn es bleibt viel zu tun: Viele Schüler:innen haben eine Menge Unterrichtsstoff verpasst, der im nächsten Schuljahr fehlen wird. Insofern heißt es für uns und unsere Ehrenamtlichen, doppelt so viel ranzuklotzen, um die Lücken nicht noch größer werden zu lassen. Derzeit sind wir noch dabei, ein Programm für die Sommerferien zu planen. Normalerweise verbringen die meisten unserer Kinder und Jugendlichen den Sommer in der Türkei, im Libanon oder in anderen Ländern. Wir stellen uns jedoch darauf ein, dass viele von ihnen dieses Jahr aufgrund der bestehenden Reisewarnungen in Berlin bleiben. Ziel ist es daher, die Angebote der anderen Akteure im Kiez zu unterstützen und zu ergänzen, so dass es trotz allem ein schöner – und hoffentlich auch lehrreicher und bewegungsreicher – Sommer für alle wird. Für Ideen, Vorschläge und tatkräftige Unterstützung sind wir natürlich sehr dankbar! Bleiben Sie gesund und kommen Sie so gut wie möglich durch die nächste Zeit!